Neulich im Auto.
Ein ganz normaler Tag, wie er öfter vorkommt, und doch einer, der zum Nachdenken anregt. Ich begleite einen neuen Kollegen auf dem Weg zur Baustelle. Bevor wir losfahren, lernen wir uns kennen. Wer bist du? Wo kommst du her? Wie war dein beruflicher Weg bisher?
Dann sagt er einen Satz, der mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf geht:
„Ich bin froh, dass ich in meinem Alter überhaupt noch einen Job gefunden habe.“
Ein einfacher Satz, gesprochen ohne Bitterkeit, fast schon beiläufig – aber mit einer Wucht, die tief geht.
Zwischen Überqualifikation und Altersstigma
Der neue Kollege ist 58, hochmotiviert, klar im Kopf, wissbegierig, kollegial – und bringt einen wertvollen Erfahrungsschatz mit. Und trotzdem steht über seinem beruflichen Neustart ein großes Fragezeichen: Sein Alter.
Warum ist das eigentlich so? Warum haben Menschen jenseits der 50 das Gefühl, sich regelrecht entschuldigen zu müssen, wenn sie nochmal auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen?
Wir leben in einer Zeit, in der Unternehmen scheinbar nach der „perfekten Mischung“ suchen:
- 20 Jahre alt,
- 40 Jahre Berufserfahrung,
- Topfit, belastbar, lernbereit, digital-affin – und bitte möglichst günstig.
Eine Utopie. Oder ehrlicher gesagt: Eine Absurdität.
Erfahrung kann man nicht googeln
Früher sagte man im Automobilbau: „Hubraum ist durch nichts zu ersetzen.“
In der Arbeitswelt gilt heute mehr denn je:
„Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen.“
Erfahrung bedeutet nicht nur Wissen – sondern auch Urteilsvermögen, Verantwortungsbewusstsein, Ruhe in stressigen Situationen, Überblick, Menschenkenntnis.
Das alles lernt man nicht in einem Kurs und auch nicht in zwei Jahren Assistenzzeit. Das muss man leben – über viele Jahre hinweg.
Ich bin ehrlich dankbar, dass mein Unternehmen den Wert dieser Eigenschaften erkennt. Dass hier nicht die Frage im Vordergrund steht:
„Wann geht er in Rente?“,
sondern:
„Was kann er uns beibringen – und was können wir gemeinsam noch erreichen?“
Weihnachten kommt nicht plötzlich – Ruhestand auch nicht
Ein weiteres Thema, das in diesem Zusammenhang oft übersehen wird: der Umgang mit ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen.
Wie oft erleben wir es, dass jahrzehntelang aufgebaute Erfahrungswerte mit dem Ruhestand einfach verschwinden – ohne dass rechtzeitig Wissenstransfer organisiert wurde.
Es ist wie mit Weihnachten:
Wir wissen das ganze Jahr über, dass es kommt. Und trotzdem sind wir am 23. Dezember überrascht, dass wir noch kein Geschenk haben.
Genauso geht es vielen Firmen mit dem Ruhestand erfahrener Mitarbeiter.
Dabei wären Mentorenprogramme, strukturierte Übergaben oder Tandemmodelle kein Hexenwerk – sie müssten nur gewollt und umgesetzt werden.
Zeit für einen Kulturwandel
Wir müssen raus aus der Denke, dass Alter ein Nachteil ist.
Wir brauchen eine Arbeitswelt, die Vielfalt nicht nur in Hautfarbe, Geschlecht oder Herkunft sieht – sondern auch im Lebensalter.
Junge Mitarbeitende bringen frischen Wind.
Erfahrene Kolleginnen und Kollegen bringen Stabilität, Tiefe und Weitblick.
Nur gemeinsam entsteht ein Team, das zukunftsfähig ist.
Mein persönliches Fazit
Ich bin froh, dass mein Kollege den Weg zu uns gefunden hat.
Ich schätze seine Erfahrung. Seine Perspektive. Seine Offenheit.
Und ich wünsche mir, dass mehr Unternehmen erkennen:
Menschlichkeit, Erfahrung und Einsatzbereitschaft – das lässt sich nicht digitalisieren. Aber es lässt sich fördern.
Und am Ende sind es oft genau diese Eigenschaften, die ein gutes Team von einem großartigen unterscheiden.
Wie ist deine Erfahrung oder Meinung über die Einstellung älterer Arbeitskollegen?